Quellen und Forschungen zur europäischen Ethnologie, Bd. XIX, Hardcover, 424 Seiten, über 140 Farbabb.
„Nichts, was Menschen geschaffen haben, gibt so präzise den Stand einer Zivilisation wieder wie ihre Wohnkultur“
Die schriftliche und zeichnerische Überlieferung der Architekturtheorie ist, soweit sie sich auf die sakrale, die höfische und die bürgerliche Baukunst bezieht, wohlbekannt. Die Zahl der Bücher und Traktate, die in Folge Vitruvs ‚De architectura‘ — deutsche Ausgabe erschienen 1548 bei Rivius in Nürnberg — antike Bauvorlagen rezipieren, ist Legion. Man weiß auch, daß sich einzelne Architekten und Architekturtheoretiker, wie beispielsweise Sebastiano Serlio (1475-1554), mit dem ländlichen Bauwesen befaßt haben.
Aber diese Auseinandersetzung und Anregungen sind in der deutschen Volkskunde und Ethnologie noch nicht diskutiert worden. Jean Cuisenier greift entsprechende amerikanische und englische Studien auf und geht anhand von Serlios Schriften und des von deutschen Hausforschern gleichfalls noch zu entdeckenden Werkes ‚La maison rustique‘ (1564) des französischen Humanisten und Architekturschriftstellers Charles Estienne der Frage nach, inwiefern sich dessen Planvorstellungen im ländlichen Hausbau tatsächlich widerspiegeln.
„Ländlich“ bedeutet dabei nicht unbedingt „bäuerlich“, sondern eher „gutsherrlich“ und erhält damit einen feudalistischen Hintergrund. Dieser Vergleich ist auf der Grundlage des von Cuisenier herausgegebenen Oeuvres der ‚L’architecture rurale française‘ möglich, das ein gesamtfranzösisches ‚Corpus‘ an Hausformen und Haustypen umfaßt.
Die zweite zentrale Frage, die sich an strukturalistischen Denkkategorien von Claude Lévi-Strauss orientiert, zielt auf eine eventuelle Gleichheit von Bau- und Wohnvorstellungen unterschiedlicher Ethnien unter der Voraussetzung ähnlicher klimatischer, wirtschaftlicher und sozialer Bedingungen.